traumasensible Spiritualität / spirituelle Traumapädagogik
traumasensible Spiritualität / spirituelle Traumapädagogik
Wir im Antonia-Werr-Zentrum betrachten Spiritualität als heilsamen Baustein der Pädagogik, als einen Teil des gelebten therapeutischen Milieus in den Gemeinschaften der Gruppe und der ganzen Einrichtung.
Spirituelle Selbstbemächtigung beschreibt das Verbundensein und immer wieder neu verbinden mit mir und meinem Wesenskern, meiner Wahrheit in innerer Zeugenschaft.
„Die Übernahme der Verantwortung für mich ist ein in mir gewachsener Ausdruck meines Heilungsprozesses. Das ist eine Art, mein inneres Wachstum zu beantworten und könnte auch spirituelle Selbtbemächtigung heißen.“ (Sauerer 2018, S.142)
Spirituelle Traumapädagogik versteht sich aus unserer Sicht, als die Anerkennung unseres Selbstwertes und die Entwicklung unserer Selbstakzeptanz, ferner geht es um die Bewusst-werdung meiner selbst und um die Selbstannahme, so wie ich bin. In Trauma-states ist man nicht verbunden – man ist abgetrennt, abgetrennt von spirituellen Zugängen, zu sich und der Welt.
Es geht in der Traumapädagogik aus meiner Sicht um das Verbunden-sein, in der Überwindung von Abgetrennt-sein, (als ein Traumasymptom). Es geht um ein Gefühl von Zugehörigkeit in der Überwindung von Einsamkeit. Es geht um die zunehmende Überzeugung, dass ich „geliebt bin weil ich bin“ (Fromm), in der Überwindung von fremdbezogenem Objektsein. Somit ist Spiritualität als Schutzfaktor und Teil eines soweit als möglich sicheren Ortes zu begreifen.
„Ein Trauma verletzt nicht nur die Seele, sondern auch die Gottesbeziehung; traumatische Erfahrungen entziehen, der vermeintlich so sicheren Existenz in Gottes Schutz den Boden und stellen viele spirituelle Annahmen in Frage.“ (Utsch/Bonelle Pfeifer 2014, S.166)
Traumatisierte Kinder und Jugendliche stellen Sinnfragen.
Herausfordernde Lebensumstände hinterfragen den Sinn des Lebens. Kinder und Jugendliche, die in ihrer Existenz bedroht waren, fragen zwangsläufig nach dem Sinn, sie beschäftigen sich mit Schuld und Scham, sie suchen nach Erklärungen. Das Trauma ist ein tiefer Eingriff in das Empfinden, die Gefühle, die Selbstwahrnehmung, das Persönlichkeitskonzept, die Identität, das, was sie über sich denken, über ihr Gestelltsein in der Welt, all das ist erschüttert, gestört und verrückt worden. Die bisherige Weltanschauung wird in Frage gestellt, das absichtslose Geliebt-sein scheint ausgelöscht. Die Maßstäbe von Gut und Böse, von „schlimm“ oder „nicht so schlimm“ verschieben sich, bis dahin, dass die Pole nicht mehr definierbar sind. Die Erschütterung lässt noch keine Nachvollziehbarkeit zu, nichts davon hat einen Platz gefunden, vielleicht nur einen der genährt wird von Schuld und Scham. (Sauerer, S.143)
Die heilende Wirkung von Spiritualität
Wenn Indianer von Medizin sprechen, dann bedeutet das für sie so viel wie:
„heilige, heilende, und das Heil bringende Kraft“ (Kreppold 2000 in: Müller 2011). Die Indianer sagten zu den Kirchen, welche die Weißen gebaut hatten, „Medizinhütten“. In ihrer Vorstellung war das Heilige auch das Heilende. (Müller S.98)
„Die Weltgesundheitsorganisation WHO, sieht spirituelles Wohlbefinden als einen eigenständigen Bestandteil umfassender Gesundheit.“ (Utsch/Bonelli/Pfeifer 2014 S.3).
Verbundensein mit dem großen Ganzen, unabhängig von Religionszugehörigkeit und Konfession, kann man auch als spirituelles Wohlbefinden bezeichnen.
„Der heilige Raum braucht undurchdringbare Grenzen, die sicheren Schutz für einen verletzlichen Prozess bieten, der unseren innersten Kern berührt. Sichere Räume mit klaren Grenzen helfen uns in einem verletzbaren Zustand berührbar bleiben zu können. Solch eine Sicherheit kann das Auftauchen unseres innersten Wesens ermöglichen. Je stabiler die äußere Situation ist, desto eher können wir riskieren, die verletzliche Seite in uns zum Vorschein kommen zu lassen. Wir können im Außen zulassen, was sich in uns schon lange zeigen will. (…) Die Stabilität des Halts erlaubt uns, in dieser Zartheit zu verweilen.“ (Schmidt 2012, S.203)
Somit möchten wir in unserer Arbeit heilsame uns soweit als möglich sichere Räume gestalten, die zu immer mehr Verbundenheit führen. Die Art wie wir in professioneller Nähe unsere Beziehungen gestalten soll in Achtsamkeit geschehen, in der Anerkennung des Schmerzes und der Lebensleistung, in wahrhaftiger Resonanz aller Beteiligter und im emotional sicheren Dialog miteinander.
Die Anerkennung der Wirkkraft spiritueller Erfahrungsräume eröffnet Wege in eine mitfühlendere Gesellschaft, die Zugehörigkeit vermittelt, Grenzen als Verbindungen sieht und das Gefühl der Verbundenheit als Teil dieser Schöpfung für unsere Kinder und Jugendlichen transportiert. Eine traumasensible Spiritualität hat unweigerlich eine gesellschafts- und sozialpolitische Dimension.
Text und Fotos Anja Sauerer
Anja Sauerer schreibt über einen traumapädagogischen Blickwinkel zu dem Thema:
das Verbunden-Sein mit dem göttlichen Wesenskern und der wahrhaften Beantwortung in der Pädagogik
Weil_ich_bin
Quelle: Publik-Forum Extra Thema: Resilienz Was die Seele stark macht
ressourcen- und lösungsorientierter Ansatz
Ressourcen- bzw. lösungsorientierte Erziehung
„Einen Menschen erziehen, heißt in ihm die Perspektiven eins Lebensweges gestalten, an dem die Freuden des morgigen Tages liegen.“ (Makarenko)
Systemisch-lösungsorientierte Ansätze und Konzepte haben sich seit über 3 Jahrzehnten in deutschsprachigen Ländern fest verankert und sind vor allem in Einrichtungen der Jugendhilfe als relevante Modelle für die Praxis etabliert. Auch in der Erziehungs- und Behandlungsplanung im Antonia-Werr-Zentrum sind diese Modelle neben anderen wichtigen Ansätzen eine zentrale Grundlage.
Das Ziel ist der Weg
Nach Delferth ist ein zentrales Ziel der Erziehungsplanung „… den Alltag so zu strukturieren, Alltägliches so zu arrangieren, also Erfahrungsmöglichkeiten zu schaffen, dass Lernen in einer gewünschten Richtung möglich wird.“
Erziehen in der „gewünschten Richtung“, wie es Dalferth beschreibt, wird nur durch das Herausstellen der jeweiligen Ziele möglich. Ressourcenorientierte Erziehung funktioniert nur gemeinsam mit allen Beteiligten. Es geht nicht um eine „Darüber-Reden“, sondern um ein „Miteinander“ erreichen. Wichtig dabei ist die Achtung, Berücksichtigung, der Einbezug der Ziele der Mädchen und jungen Frauen und wenn möglich der Eltern. „Verhaltensauffälligkeiten“, wie auch Symptome der Mädchen und ihrer Eltern können im ressourcenorientierten sinne als deren bisher bestmögliche Lösung schwieriger Situationen angesehen werden. Diese besondere Sichtweise macht einen bedeutenden Unterschied zur ausschließlich problemzentrierten Betrachtung. Sich zu sehr auf das zu konzentrieren, was verändert oder woran noch erarbeitet werden muss, richten den Blick auf die Probleme bzw. auf das, was noch nicht gelingt. Den Blick darauf zu richten, was zum Erfolg führt oder auf das , was gelingt, bedeutet vielmehr schon Lösungen ins Auge zu fassen und Wege zum Ziel einzuschlagen.
Wege zum Ziel
Wir im Antonia-Werr-Zentrum gehen davon aus, dass die Ressourcen für die gewünschte Entwicklung vorhanden sind. Deshalb macht es Sinn, sich auf die Suche nach Ausnahmen zu machen. Ausnahmen können auch Zeiten sein, in denen die Probleme gar nicht auftraten oder weniger belastend waren, sie deuten auf schon gelungene Lösungen. Sie sind frühere Erfahrungen im Leben, bei denen es gelungen ist, ein Problem in einem ähnlichen oder anderen Kontext zu lösen. Das gemeinsame Entdecken und Herausarbeiten von Ausnahmen im Erziehungsprozess ist auf dem Weg zum Ziel nützlicher, als Problembeschreibungen zu vertiefen. Dieses Vorgehen lässt Probleme nicht außer Acht. Die Probleme zu würdigen und an ihnen zu arbeiten ist sicherlich ein wesentlicher Teil der Arbeit, dennoch richtet sich unser Blick hauptsächlich auf die Ziele und Stärken der Mädchen und jungen Frauen.
Stärken sehen
Stärken können von Erzieherinnen beobachtet, beschrieben und erfragt werden. Schildert ein Mädchen Erlebnisse und Situationen ihres bisherigen Lebens, in dem ihr vieles gelungen ist, so kann man durch die Art der Gesprächsführung Stärken entdecken. Wenn man nun die Frage stellt: „Wie hast Du das geschafft?“, so werden ganz selbstverständlich Ressourcen zum Vorschein kommen.
Gemeinsam Lösungen finden
Im landläufigen Sinne sind Lösungen für uns etwas, was möglichst schnell und ohne viele Umschweife ein Problem auflöst. So kann es durchaus auch sein. Häufiger allerdings sind die Lösungen, die mit dem Mädchen gefunden werden, Wege, die nicht mühelos zu beschreiten sind. Lösungen fangen schon im Kleinen an. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die kleinen konkreten Schritte in Richtung Ziel. Der Lösungsweg ist nicht der leichtere, oft ist er beschwerlich und kurvenreich. Lösung heißt für unsere Mädchen und jungen Frauen oft auch „Loslösung“ von alten Mustern.
Heim als Chance
Wir betrachten den Heimaufenthalt als eine Chance. Eine Chance, sich zunehmend als selbstwirksam zu erleben. Durrant bezeichnet dem Heimaufenthalt als „Übergangsritual“. Diese Sichtweise führt weg von dem Vorhaben, innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens müsse eine „Heilung“ geschehen. In dieser Zeit kann neu Gelerntes erprobt und damit in einem geschützten Rahmen experimentiert werden.
Unsere Haltungen und unser Handeln gestaltet soweit als möglich sichere Orte, die heilsamen Entwicklungen einen Raum geben.
Text und Foto Anja Sauerer
Elternarbeit
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